Kirche im KriegDie Johanneskirche nach den Bombenangriffen vom 6. und 9. März 1944

Kriegsende in Schlachtensee

Zeitzeugenberichte 24. - 26. April 1945

1. Aus Tagebuchnotizen von Heinrich Walter Simon (geb. 1894)

25. April, Schemannzeile (Dubrowstraße) 51:

»Gegen 6 Uhr morgens hört man Schießen von Geschützen und Maschinengewehren. Man sieht Russen auf den Straßen. Es wird geschossen. Um 6.45 Uhr ruft ein Russe vor der Hofkellertür: Kamerad, Kamerad. Herr P. macht auf. Der Russe spricht kein Deutsch, er besichtigt den Luftschutzkeller und den Kinderbunker. Er will Uhren haben. Er lässt sich Handgelenke und Taschen zeigen, untersucht aber nicht viel.

8.30 Uhr: Zahlreiche russische Panzer und einige Lastwagen fahren die Spanische Allee Richtung Nikolassee entlang. Vorher sollen mindesten 12 schwere Panzer die Stöckerzeile (= Breisgauer Straße) zum Bahnhof Schlachtensee gefahren sein.

Gegen 11 Uhr kommt Frl. Sch. vom Konsum vorbei und sagt, am Kino würden Lebensmittel verteilt.

Gegen 11.20 Uhr gehen mein Vater und mein 16jähriger Bruder zum Kaufmann Anton (Dühringzeile = Eiderstedter Weg). Sie bekommen eine Tüte Zucker und eine Tüte Grütze ohne Bezahlung, nur die Nummer wird aufgeschrieben; man solle später bezahlen. Dann in den Luftschutzkeller zurück. Es kommen mehrmals Russen. Sie durchsuchen mit vorgehaltener Pistole die Taschen nach Uhren. Um 12 Uhr essen wir in der Wohnung Mittag.

Um 13.30 Uhr wieder heftige Schießereien. Man weiß nichts Genaues von der Lage.

14.55 Uhr Gefecht. Augenblicklich sind die Russen vertrieben. Dauernd Flieger. Artillerie- und Maschinengewehrfeuer. Es werden auch viele Pferdewagen auf der Spanischen Allee Richtung Nikolassee gesehen, ferner Züge von Infanterie.

19.15 Uhr wieder Russen im Haus. Eine Frau soll mitgenommen werden. Sie schreit laut und reißt sich los, da lässt er sie.«

26. April

»Am nächsten Morgen wird berichtet, die Deutschen seien nachts - es war offensichtlich Gefecht - bis zur Fernsprechzelle Spanische Allee/ Ecke Tewsstr. gekommen, hätten sich aber nicht halten können. 2 Russen gehen durchs Haus, verlassen es aber ohne Plünderung.

Es heißt, Frau Dr. Herbst (Praktische Ärztin und Kinderärztin, Stöckerzeile = Breisgauer Straße) habe sich vergiftet.

Frau Bohlmann soll bei Plünderungen des Ladens erschossen worden sein.«

Zur Verfügung gestellt von seinem Sohn, Herrn Dietmar Simon. Herzlichen Dank!

2. Aus den Erinnerungen von Wolfgang Hammerschmidt

24. April, Schemannzeile (Dubrowstraße) 14:

»… Am S-Bahnhof Schmargendorf stiegen wir um in die U-Bahn zur Endstation „Krumme Lanke“ in Zehlendorf. Der Zug fuhr, jetzt halbleer, bis er aus dem Untergrund ins Freie mußte: ab Dahlem fuhr er in einem Einschnitt unter freiem Himmel. An dem tummelten sich sowjetische Schlachtflieger in Sturzflügen und Angriffen auf Bodenziele. Minutenlang blieb der Zug auf freier Strecke stehen, alle Gespräche waren verstummt. Endlich erreichte er über „Onkel Toms Hütte“ die Endstation. Als wir den Bahnhof verlassen hatten, mußten wir uns sofort flach aufs Pflaster werfen, weil wieder JAK-Bomber mit knatterndem Mündungsfeuer über die Argentinische Allee rasten. Ich hatte meinen Koffer vor Ruth Wendland und mich gestellt, als könnten meine paar Kleider die Kugeln aufhalten.

Nach kurzem Marsch erreichten wir den S-Bahnhof Zehlendorf-West. Unter der Bahnüberführung war der Volkssturm gerade dabei, eine aus Bahnschwellen errichtete Barrikade zu schließen. „Da könnt Ihr nicht mehr hin, der Iwan ist schon in Teltow“, meinte der Wortführer der kleinen Gruppe. Ruth Wendland zeigte ihm ihren Kirchenausweis: „Wir müssen Kranke in der Dubrowstraße versorgen und kommen dann zurück,“ antwortete sie mit freundlicher Selbstverständlichkeit. „Hier kommt Ihr nicht mehr durch, wir machen jetzt dicht“, war die Entgegnung. Wir schlüpften ohne weiteren Widerspruch durch die letzte Lücke der Barrikade. Das jämmerliche Häuflein von Zivilisten mit den Volkssturm-Armbinden bestand aus etwa einem Dutzend Männer, teils Knaben von 15 Jahren, teils ihren Großvätern jenseits der 60. Sie hatten drei oder vier Panzerfäuste und nicht einmal einen Karabiner pro Mann.

Nach zweihundert Schritten waren wir am Ziel, dem Eckhaus Dubrowstraße / Eitel-Fritz Straße [1], einem alten Villenbau mit Türmchen und Garten. Ruth Wendland schloß auf und nahm mich die Treppe hinauf mit in ihre kleine Wohnung im Turm des Hauses. Die Zimmer lagen übereinander. … Als sie mir einen Kräutertee brühte, hörten wir in der Nähe Granateinschläge. „Ab in den Keller!“ kommandierte die resolute Vikarin.

Unten waren die Hausbewohner versammelt, darunter ein Bankdirektor der Dresdner Bank, dem ich vorgestellt wurde, einige Frauen und Mädchen, die Hauswartsfrau und der Hauswart, ein hagerer Mann mit der grauen Haut des Alkoholikers. Ihm fehlten einige Finger der rechten Hand. Er fragte sofort, wer ich sei und verlangte meinen Ausweis zu sehen. Ruth Wendland sagte, ich sei ausgebombt und ohne Papiere. Daraufhin nahm der Mann, der das Parteiabzeichen an der Arbeitsjacke trug, eine drohende Haltung ein. „Dann muß ich den Mann anzeigen," sagte er und verließ den Keller. Die Vikarin gab mir mit dem Kopf ein Zeichen, ihr zu folgen.

In ihrer Wohnung ging eineTreppe hinauf in das Turmzimmer, von da durch eine Tür noch höher unter den Turmhelm. ... Aus einer Villa ganz in der Nähe auf der linken Seite der Dubrowstraße scholl lautes Gröhlen und dröhnende Grammophonmusik. „Dort feiert die SS Abschied", kommentierte Ruth Wendland den Lärm. „Ich hoffe, die sind schon zu besoffen, um unseren feinen Hauswart zu begleiten!" Dann hatte sie mit einem Griff eine schmale Metall-Leiter in eine Stange an der Holzkassettendecke des Aussichtsplatzes eingehängt. Sie hob mit der Hand ein Segment der Decke an und schob es hinauf. Aus ihrem Schlafzimmer im Turm holte sie einen dicken gesteppten Schlafsack und brachte ihn hinauf. Dann schickte sie mich in den Turmhelm. „Nehmen Sie die Leiter mit hoch, damit keiner hinauf kann, aber Sie herunterkommen, wenn Sie wollen. Und versuchen Sie, ein bißchen zu schlafen. Nehmen Sie den Pfefferminztee mit. Der wird Ihnen jetzt gut tun." -...

Im Morgengrauen weckten mich laute Kanonenschüsse und das Klirren von Panzerketten. Ich kroch aus dem Sack und lugte durch die Löcher der fehlenden Schindeln. Mehrere Panzer feuerten in Richtung S-Bahn und fuhren weiter. Einer von ihnen mußte unmittelbar unter meinem Turm stehen; denn bei jedem Schuß spürte ich die Erschütterung und die Schindeln des Helms vibrierten laut. Ich öffnete meine Bodenklappe und schaute hinunter. Richtig: ein Panzer mit rotem Stern stand neben dem Haus auf der Straße. Im offenen Geschützturm ein Soldat mit Ohrschützern über der Kappe, ein weiterer Schuß donnerte aus dem Rohr. Mit wenigen Handgriffen war die Leiter eingehängt, fünf Sprossen und ich stand auf dem Boden. Als ich die Tür öffne und hinuntergehe, liegt Ruth Wendland in ihren Kleidern auf dem Bett in tiefem Schlaf. Nicht einmal die Schüsse hatten sie geweckt. „Der Schlaf der Gerechten", denke ich, als ich sie sanft wachrüttele. „Die Russen sind da!" Sie ist sofort hellwach und steht auf.«

Quelle: Wolfgang Hammerschmidt, Spurensuche. Zur Geschichte der jüdischen Familie Hammerschmidt aus Cottbus, Gießen 1996 (Psychosozial-Verlag), S. 79-81

[1] Es handelte sich um das Haus Dubrowstraße 21/23. Es wurde um 1924 für den Kaufmann (Bau- und Nutzholzhandlung) Otto Kersten gebaut. Dort wohnte ab 1936 SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS August Heißmeyer (1898-1979(!)), Leiter des SS-Hauptamtes. Er war mit der Reichsfrauenschaftsführerin Gertrud Scholtz-Klink (1902 -1999(!)) verheiratet. Ab 1942 wohnte dort SS-Brigadeführer und Generalmajor der Waffen-SS August Frank (1898-1984(!)), Leiter des SS-Wirtschafts- und Verwaltungsamtes, Unter den Eichen 128 – 135.

Dirk Jordan

3. Erinnerungen von Lieselotte Schlehan

25. April

»Am 25. hörten wir morgens, wir schliefen schon eine Woche im Luftschutzkeller, einen Panzer durch die Eitel-Fritz-Straße fahren. Ein weißes Laken wurde aus dem Fenster gehängt. Wir hatten auch am 24. eine Bombe im Haus. Tagsüber mussten wir die Bürgersteige vom Schutt befreien. Nachts hatten wir Ausgangssperre. Ab 15. Mai gab es die ersten Lebensmittelkarten, die in fünf Gruppen eingeteilt waren. Die schlechteste Karte bekamen die Hausfrauen. Es gab fast nichts zu kaufen, und das Brot war ungenießbar!«

Nachrichtenblatt der ev. Kirchengemeinde Schlachtensee, Nr. 572, Juni 2005, S. 5

4. Erinnerungen von Rose-Marie Uhlemann

25. April

»Wenn ich an die letzten Kriegstage zurückdenke, so sind mir einige angsterfülIte Situationen in Erinnerung geblieben. Über zwei besondere Situationen will ich im folgenden berichten:

Foto Rosemarie Uhlemann
Rose-Marie Uhlemann an ihrem Konfirmationstag 1940

Es waren die letzten Tage im April 1945. Meldungen sind durchgekommen: Russische Panzer stehen in Kleinmachnow mit Richtung Zehlendorf-Stadtmitte. Wir sitzen am frühen Morgen im Luftschutzkeller - sechs Familien aus zwei Wohnhäusern. Die Atmosphäre ist äußerst gespannt. Keiner sagt etwas. Bei uns allen ist große Angst zu spüren. Dann hören wir Motorengeräusche, die immer näher kommen.

Stimmen werden laut - auch vor unserem Haus. Kurz darauf wird gegen die Haustür geschlagen, gepoltert, dazwischen Stimmengewirr. Der Lärm wird immer heftiger. Keiner von uns spricht Russisch: was sollten wir machen? Da entschließt sich unser Vater, mutig und beherzt wie wir ihn bereits aus früheren gefährlichen Situationen kannten, die Treppe nach oben zu gehen, die Haustüre zu öffnen. Er erzählte uns dann später, dass die Russen schrien: Uhri - Uhri! Mein Vater hatte sich vorsorglich alte Uhren in die Hosentaschen gesteckt. Es hatte sich bereits herumgesprochen, dass die Russen scharf auf Uhren waren. Diese wurden ihm sofort entrissen. Offensichtlich war der Stoßtrupp damit zufrieden und zog bald weiter. Dann wurde es wieder ruhig auf der Straße. Uns saß noch immer der Schrecken „im Nacken". Durchgefroren und hungrig gingen wir in unsere Wohnungen zurück - mit der Angst: was passiert weiter?

Die zweite Erinnerung stammt aus der Zeit unmittelbar nach dem Einmarsch. In diesen Tagen liefen russische Soldaten in den Straßen herum, erzwangen sich Einlass in die Häuser. Ihre „Jagd" auf Mädchen und Frauen hatte sich herumgesprochen. Wir hatten uns für diesen Fall ein Versteck überlegt: den nicht einsehbaren Hängeboden über den Mansarden. Eines Abends hörten wir Stimmen und Schreie in der Nachbarschaft. Zu Dritt rasten wir auf den Boden, stiegen von dort auf einer schmalen Leiter auf den Hängeboden und legten uns unter Decken versteckt flach auf die Holzdielen in die hinterste Ecke. Noch heute erinnere ich mich, wie wir dalagen: Herzklopfen, Angst, Panik! Unser Vater erzählte uns später, dass die Russen zunächst unsere Wohnung durchsucht hatten, dann die Treppe hochgestiegen waren. Er hatte versucht, sie daran zu hindern. Allerdings ohne Erfolg. Die Bodentür wurde aufgerissen, die Russen schrien herum, liefen hin und her, entdeckten uns aber nicht und verschwanden dann schließlich wieder. Unsere Eltern brachten uns später Essen und Trinken. Als es auf den Straßen ruhig geworden war, gingen wir in die Wohnungen zurück, die Angst aber blieb. Mehrmals mussten wir dieses „Versteckspiel" wiederholen, blieben so aber von Vergewaltigungen verschont.«

Rose-Marie Uhlemann. Am Heidehof

Nachrichtenblatt der ev. Kirchengemeinde Schlachtensee, Nr. 572, Juni 2005, S. 5

5. Erinnerungen von Gudrun Zippel

25. April

»60 Jahre nach Kriegsende - Wie viele Begebenheiten kommen mir in den Sinn! Die letzten Kriegstage hatten wir, da unser Haus in der Eitel-Fritz-Straße abgebrannt war, in der Bogotastraße zugebracht. Die Meldungen vom Vordringen der Russen überschlugen sich - soweit wir wegen häufiger Stromausfälle überhaupt welche im Radio hören konnten. Und bei den Versuchen, mit Anstehen in langen Schlangen vielleicht noch etwas Essbares zu ergattern (wann würde es etwas zu kaufen geben, wenn die Russen da sind?), gingen Augen und Ohren immer wieder ängstlich zum Himmel, ob ein russisches Flugzeug mit dem typischen Nähmaschinenton und Bomben im Gepäck auftaucht - die Sirenen, die das Nahen der Flugzeuge jahrelang angezeigt hauen, schwiegen in den letzten Tagen. Am Morgen des 25. April 1945 erschien dann der erste Russe - ein Offizier -, der das ganze Haus durchsuchte. Er war korrekt, aber mein Vater entschied daraufhin, dass ich von nun an - trotz fast 16 Jahren noch sehr kindlich aussehend - das Haus durch die Hintertür zu verlassen und im Nachbarhaus zu verschwinden hatte, sobald vorne geklopft wurde. Und das war die Rettung für mich.

Von vielen Einzelheiten könnte ich berichten, aber bei all der Angst, viel Hunger, Not und Schrecken wurde das Gefühl der Dankbarkeit dafür immer stärker, dass die Waffen schwiegen, dass keine Bomben mehr fielen und dass die Fliegeralarm-Sirenen nicht mehr heulten. Aber die Angst vor diesem Geräusch ist geblieben: noch heute kommt Panik in mir auf; wenn irgendwo eine Sirene losgeht.«

Gudrun Zippel, Eitel-Fritz-Straße

Nachrichtenblatt der ev. Kirchengemeinde Schlachtensee, Nr. 572, Juni 2005, S. 5

6. Erinnerungen von Susanne Wisten-Weyl

Am 13. Mai 2016 erzählt Frau Susanne Wisten-Weyl vom Kriegsende:

»Unser Haus war voll, das hatte ich schon erwähnt. In jedem Raum - und das war auch gut so - war eine Familie, z. B. Dr. Mayer, er Jude. Genau dieselbe Situation wie bei uns, eine privilegierte Mischehe, die Frau und Sohn waren da, dann Herr Träger, der sich vom Volkssturm trennen wollte. Das war eine Bekanntschaft aus der Fabrikarbeit meines Vaters, der war in unserer jetzigen Küche und Großvaters Zimmer … also es war ein Leben in allen Zimmern.

Und ich hatte einen sehr guten Freund Dieter, ein deutscher Offizier der Luftwaffe, dem ich mein süßes Geheimnis (dass sie als jüdisch galt) sehr bald anvertraut hatte, weil mein Vater sagte: Du musst mit offenen Karten spielen, das kann man nicht machen. Und Dieter sagte, das stört mich überhaupt nicht. Wir müssen aber vorsichtig sein, dann kann ich Dich nicht so oft besuchen. Wir müssen keine Angst haben, aber ich werde nicht mehr in Uniform in Euer Haus kommen. Er sprach sehr gut Russisch, weil er in Russland einen Arm verloren und dort aber Russisch gelernt hatte, und er hat gesagt: Ich bleib bei dir. Ich kann euch helfen, wenn die Russen kommen, weil ich russisch spreche. Sein Vater hat einen wehrwirtschaftlichen Betrieb und hat alles verlagert nach Westdeutschland. Der Sohn sollte mitkommen, aber er blieb bei mir. Fabelhaft.

So, jetzt hörte man schon so, ich würde sagen, zwei Tage vor dem 25. April Kanonendonner u. a. … Wir haben eigentlich, das muss ich Ihnen hier gestehen, auch wenn Sie es mit Entsetzen jetzt hören, dringend auf die Russen gewartet. Wir wussten, die Amerikaner kommen nicht, das haben wir mitgekriegt, dass sie bei der Elbe zu unserem Bekümmern Halt gemacht haben. Und wir haben gewusst, es liegen nun schwere Tage vor uns.

Und Dieter sagte, der den Krieg kannte: Jetzt müssen wir aber Brot noch holen. Wir haben noch Brotkarten, und wir müssen Brot haben. Wir haben kein Brot mehr im Haus, und ich gehe noch zu Herrn Stackebrand, dem Bäcker in der Matterhornstraße (heute ein Blumenladen), und den hat er leider fast ermordet. Gott sei Dank hat der das nicht getan. Das war morgens um halb sieben oder um sechs Uhr, da ist er hier hinter dem S-Bahndamm lang gegangen, um sich zu schützen. Wir hatten ja keine Ahnung, was Krieg ist und wie was fliegt oder irgendwas. Wir hörten es nur.

Er sagt: Ich gehe da lang, da bin ich sicher und er stellte sich dann in eine Schlange vor dem Bäckerladen und der Stackebrand sagte: Ich mache nicht auf. Es war kurz vor sieben. Und es standen Menschenmassen da, und man hörte schon das Schießen und der Stackebrand hat nicht aufgemacht. Und Dieter hatte seine Pistole mit und fummelte damit rum.

Aber Gott sei Dank hat er sie nicht benutzt, er wäre ja nie mehr froh geworden seines Lebens.

Aber Herr Stackebrandt hat dann aufgemacht und die haben noch ihr Brot gekriegt, und er wanderte zurück zu uns, und es kam immer näher.

Und plötzlich hörte man ein starkes Grollen und da fuhren hier die Krottnaurerstraße Panzer entlang. Und wir alle an unser Küchenfenster. Und das ganze Haus rausgebeugt, inklusive Gruners, die schnelle rübergekommen waren und die Russen kommen.

Und plötzlich gegenüber, von dem Eckhaus, diese große Villa, von dem Groß, der schoss aus dem Keller. Und da sagte Dieter: So, jetzt müssen wir in den Keller, denn jetzt werden wir alle plattgemacht.

Der schoss aus einem Keller mit Gewehr oder womit auch immer. Und wir rasten in den Keller. Die Russen haben ihre Rohre, das sahen wir noch, auf das Haus gerichtet. Und Dieter sagte: Jetzt kann es uns passieren, dass die ganze Straße abrasiert wird. Das haben wir nämlich in Russland auch gemacht, wenn einer geschossen hat. Er war ein Erfahrener, er war ein überzeugter Nazigegner in Rußland geworden. Es passierte glücklicherweise nicht.

So, und dann haben wir uns plötzlich gemütlich an den Frühstückstisch gesetzt und feierten Befreiung. Wir saßen im Esszimmer unten und sahen plötzlich hinten bei unserem Häuschen einen kommen. Da sage ich: Da kommt jemand über den Zaun. Siehst du wieder Gespenster? Nein, es war ein russischer Soldat, völlig maskiert, klopfte an unsere Tür, ihm wurde aufgemacht. Er wurde von uns empfangen, wie er wahrscheinlich in keinem Haus in Berlin empfangen wurde. Freddy, einer der Untergetauchten und Versteckten, war da und alle anderen waren da, es war für uns: Jetzt ist der Krieg zu Ende.

Und der war aber noch ganz friedlich, und wir waren ein bisschen erstaunt. Aber wir waren eben nichtswissend. Naja, und dann ging es den ganzen Vormittag so, die wollten weiter und es kamen immer mehr, und die Soldaten klopften an, wurden von uns empfangen, und wir haben nicht zugesperrt, und Dieter verhandelte dann mit ihnen wegen Eva und mir.

Das waren echte Verhandlungen. Sein Gesicht wurde immer röter, und er hat dann irgendwas erzählt, dass ich Jüdin wäre und wir doch überhaupt nicht miteinander könnten. Und so, nach 20 Minuten hatte er mich abgehandelt. Und dann sind wir in den Keller gesperrt worden. Aber es war ja schon seltsam. Das war der 25. Es kamen viele, immer wieder. Einer, der völlig betrunken war, der spielte plötzlich Klavier bei uns, wunderbar.«

Hinweis:

Diese Zeitzeugenberichte wurden zusammengestellt von Dirk Jordan, AG Spurensuche. Weitere Informationen zum Kriegsende finden Sie auf seiner Website.

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